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TV-Kritik "Günther Jauch" "Amazon ist asozial"

Gerade vor Weihnachten klingeln die Kassen der Online-Versandhändler. Die Runde bei Jauch sah den "Bestellwahn" vor allem kritisch. Ranga Yosgeshwar geißelte die Steuertricks von Amazon.
Von Simone Deckner

Laura Karasek ist nicht nur die Tochter von Hellmuth Karrasek, sondern bekennende Online-Shopperin. Mit diesem Beuteschema ist die Rechtsanwältin und Autorin in bester Gesellschaft. E-Commerce boomt. Der Verbraucher will seine Ware billig, schnell, rund um die Uhr und bei Nichtgefallen gern auch wieder umtauschen. Das rechnet sich: 33,5 Millarden Euro wird der Online-Handel allein in Deutschland in diesem Jahr voraussichtlich umsetzen.

Einige wenige schreien darüber vor Glück. Doch Günther Jauch beleuchtete die vielen anderen: "Weihnachten mit Amazon und Co - Wer leidet unter unserem Bestell-Wahn?", fragte der Moderator. Und packte zu Beginn gleich die junge Karasek am edlen, online ergatterten Schlafittchen: Wieso sie denn nicht in der Stadt einkaufen gehen würde? Karasek: "Als Berufstätge habe ich dafür kaum Zeit." Höchstens 20 Prozent ihrer Einkäufe erledige sie noch auf dem klassischen Weg direkt im Laden. Ihren Sitznachbar, den Enthüllungsjournalisten Günter Wallraff, hielt es bei derlei Aussagen kaum auf seinem Stuhl. Wallraf holte direkt die verbale Keule raus, sah durch den E-Commerce gleich "unsere gesamte Kultur verkümmern."

Und dann tat Wallraff das, wofür man ihn entweder liebt oder hasst: penetrant nachbohren. Als Karasek fröhlich-naiv davon plauderte, dass sie teilweise auch Medizin und Kontaktlinsen online ordere, wollte Wallraff wissen: "Gibt es denn keine Apotheke in der Nähe?" Karasek: "Doch. Mit einer sehr netten Apothekerin." Wallraff: "Und was sagt die dazu, dass sie alles online bestellen?" Karasek: "Das weiß die doch nicht." Der Dialog zeigt: Es ist auch eine Generationsfrage, wie und wo man einkauft und ob man dabei ein schlechtes Gewissen hat.

Wallraff und Yogeshwar versus Amazon

Denn dass es Menschen gibt, die für die virtuelle Bequemlichkeit bezahlen müssen, ist keine Breaking News: Es sind die überwachten Arbeiter in den Logistikzentren auf dem platten Land. Es sind die Paketboten, die unter immensem Zeitdruck zu Niedriglöhnen arbeiten. Und es sind die Menschen, die im stationären Handel arbeiten, die vielfach das Nachsehen haben. Für die machte sich Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar stark. Ob Gummistiefel, Bücher oder die Wurst auf die Hand beim Metzger: "Einkaufen kann eine sehr schöne, menschliche Sache sein", so Yogeshwar. Es fehlten nur noch die Glöckchen, die seine Ode auf die gute, alte Zeit unterbimmelten. Doch so versonnen sollte der "Peter Lustig für Erwachsene" nicht bleiben. Den Marktführer Amazon ging der sonst so sanfte Yogeshwar ungewohnt scharf an: "Amazon zahlt in Deutschland keine Steuern. Das ist asozial."

Es war der Auftakt zu einer großen Runde "Hau den Amazon", Gründe dafür liefert der US-Konzern unter Leitung von Jeff Bezos ja selbst genug. "Der Amazon", wie BWL-Professor Gerrit Heinemann den Olnine-Händler nannte, sei "eine Maschine." Es gebe weit und breit keinen, der "dem die Stirn biete." Bezos investiere aber auch wie kein anderer. Wallraff erneuerte seine Kritik an den Arbeitsbedingungen, sprach von "Arbeitssklaven". Was ein im Publikum anwesender Betriebsrat (ja, die gibt es bei Amazon jetzt auch) vehement bestritt: "90 Prozent unserer Mitarbeiter sind mit ihrem Job zufrieden", sagte der. Und das aktuell niemand unter zehn Euro in der Stunde verdiene.

Return to Sender

In einem Einspieler berichteten Paketboten (auch von anderen Händlern) jedoch, dass 13-Stunden-Schichten. Billiglöhne und angedrohte Strafzahlungen in Verträgen mit Subunternehmern nach wie vor an der Tagesordnung seien. Und das Schlimmste stehe den Boten noch bevor: Der 16. Dezember ist der Tag, an dem die meisten Pakete für Weihnachten ausgeliefert werden.

"Tun Ihnen die Paketboten manchmal Leid?", fragte Günther Jauch daraufhin Laura Karasek. Schon, meinte die, besonders, wenn sie schwere Pakete in den 5. Stock schleppen müssten. Sie selbst bestellte aber keine Snowboards oder schwere Fernseher. Und zurückschicken würde sie auch total wenig, obwohl sie eine Frau ist. Die, so hatte zuvor BWLer Heinemann erklärt, würden bei Kleidung unglaubliche 66 Prozent aller Waren wieder zurücksenden. Jede einzelne solcher Retouren kostet den Händler 15,18 Euro - jährlich summiert sich das auf 286 Millionen Euro. Da war man vorm Bildschirm wirklich kurz baff. Und musste sich an die eigene Nase fassen, bei gefühlten 28 Rücksendungen allein in diesem Jahr. Die Konsequenz kann jeder Verbraucher nur selbst ziehen. Klar ist: Den Preis für die eigene Bequemlichkeit müssen andere teuer zahlen.

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