Geheimes Dokument: Bundesregierung fordert laxere Telekom-Vorschriften

Die Stellungnahme der Bundesregierung zur EU-Telekomreform könnte der Deutschen Telekom in die Hände spielen. [Flickr/ Japanexperterna.se]

EXKLUSIV / Deutschland fordert von der EU-Kommission in einer geheimen Stellungnahme zur EU-Reform des Telekommunikationsrechts weniger Regulierung. Damit soll die nationale Telekommunikationsbehörde gestärkt werden. EURACTIV Brüssel berichtet.

Die deutsche Regierung fasst in ihrem frisch aufgesetzten, 18-seitigen Dokument zusammen, was sie von einem neuen EU-weiten Telekomgesetz erwartet: weniger Regulierung und mehr Investitionen in Telekommunikationsnetze – und zwar so schnell wie möglich. Die Stellungnahme könnte der Deutschen Telekom in die Hände spielen, die sich schon seit einiger Zeit für weniger strenge Rechtsvorschriften einsetzt. Im Gegenzug verspricht sie, mehr zu investieren. In ihrem Dokument fordert die Bundesregierung eine klare Trennung der Vorschriften, um nationalen Regulierungsbehörden mehr Autonomie zu übertragen.

Ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums weigerte sich, Stellung zum Positionspapier zu nehmen. Es warte noch auf Bestätigung der gesamten Regierung – ein Prozess, der noch mehrere Wochen dauern könnte. Angeblich hat auch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur mit am Positionspapier gearbeitet. Diese Beteiligung konnte jedoch bisher nicht bestätigt werden.

Die EU-Kommission wird noch in diesem Jahr einen neuen Telekomgesetzentwurf vorlegen. Dieser beschäftigt sich mit Netzinvestitionen, der Wettbewerbsfähigkeit von Telekommunikationsanbietern gegenüber Internetdienstleistern wie Skype oder Whatsapp und der Frage, wie neue Unternehmen Zugang zu den Netzen großer etablierter Betreiber bekommen können.

Die deutschen Ministerien sind mit den derzeitigen EU-Regeln sehr unzufrieden. Diesen zufolge müssen staatliche Regulierungsbehörden die Kommission über geplante nationale Gesetze in Kenntnis setzen, wenn sie Einfluss auf den Telekommarkt haben könnten. „Insgesamt scheint es nicht bzw. nicht mehr notwenig zu sein, dass die Kommission jede einzelne Maßnahme von jeder der 28 nationalen Regulierungsbehörden für alle Märkte überprüft“, heißt es in der Stellungnahme. Deutschland wird die EU-Kommission erwartungsgemäß diesen Frühling über einen umstrittenen Beschluss zur Telekommunikation informieren.

Im vergangenen November erregte die deutsche Regulierungsbehörde viel Aufmerksamkeit. Sie genehmigte eine Anfrage der Deutschen Telekom und ermöglichte es dem Giganten somit, die sogenannte Vectoring-Technologie auf Kupferkabel anzuwenden. Auf diese Weise wird das Unternehmen Highspeed-Breitbandverbindungen bieten können. Das werde der Deutschen Telekom exklusiven Zugang zu bestimmten Netzen ermöglichen, kritisieren Konkurrenzunternehmen.

Kleinere Unternehmen werden womöglich Alarm schlagen angesichts der EU-Reformforderungen der deutschen Regierung. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, sind sie nach eigenen Angaben auf Regulierung angewiesen.

In dem Positionspapier fordern deutsche Politiker, „die Regulierung auf ein erforderliches Maß zu begrenzen“. Nationale Regulierungsbehörden würden somit gestärkt. Weiterführend solle man versuchen, „einen Investitionsanreiz durch Verzicht auf die Ex-ante-Regulierung zu setzen und stattdessen das Instrument der sektorspezifischen Ex-post-Regulierung durch NRB [Nationale Regulierungsbehörde] zu nutzen.“

Die Deutsche Telekom bezieht ähnlich Stellung in ihrer Reaktion auf die im Dezember abgeschlossene öffentliche Befragung der EU-Kommission zur Telekomüberprüfung. Darin schreibt das Unternehmen, man müsse die schwerfälligen, zeitaufwendigen und intrusiven Ex-ante-Regulierungen durch eine leichtere Regulierungsaufsicht der NRB ersetzen.

Ein Sprecher der Deutschen Telekom hat hat sich nach der Veröffentlichung dieses Artikels gegenüber EURACTIV wie folgt geäußert: „Die in dem Papier formulierten Forderungen zur Reform des EU-Telekommunikationsrechts gehen nicht weit genug: Wir brauchen deutlich weniger Regulierung, um mehr Investitionen in Breitbandnetze zu ermöglichen.“

„Auf die Regulierung von Preisen sollte gänzlich verzichtet werden. Nachträglich Aufsichtsbefugnisse sollten auf die Ahndung möglichen missbräuchlichen Verhaltens gerichtet sein“ so der Sprecher.

Voice-over-IP-Dienstleister wie Skype oder Whatsapp bezeichnet die deutsche Regierung in ihrem Dokument als „Substitute zu traditionellen TK-Diensten“, die als direkte Wettbewerber anzusehen seien. Die Ministerien schlagen jedoch keine aggressive Regulierung der Dienstleistungen vor.

Es sei besorgniserregend, dass die deutsche Regierung das Marktversagen in der deutschen Telekommunikationsbranche nicht sehe, so Julia Reda Europaabgeordnete der Piratenpartei und Mitglied der EU-Parlamentsfraktion Die Grünen/EFA (Europäische Freie Allianz). Dabei habe das Land schon keine guten Ergebnisse beim Breitbandausbau eingefahren. Verantwortlich dafür sei der mangelnde Wettbewerb zwischen den Unternehmen.

Viele befürchten, dass die Telekomgesetzgebung große Unternehmen bevorzugen werde, erfährt EURACTIV mehreren Gespräch über die Stellungnahme.

Die Verhandlungen über die im vergangenen Sommer beschlossenen Netzneutralitäts- und Roaming-Vorschriften ziehen sich immer weiter in die Länge. Es gibt noch immer keine Übereinstimmung zum Thema Netzneutralitätsgesetze. Hier setzte sich die Telekomlobby intensiv für Veränderungen ein.

Der spanischen EVP-Abgeordneten und Berichterstatterin der Gesetzgebung, Polar del Castillo (Partido Popular), wird vorgeworfen, den spanischen Telekomgiganten Telefónica in den Verhandlungen zu schützen. Sie weist jedoch jegliche Anschuldigungen von sich. „Es ist doch ganz normal, allen Interessengruppen zuzuhören“, betont sie EURACTIV gegenüber. „Die Mitgliedsstaaten tun es. Die Regierungen tun es.“ Es scheine kaum einen Sektor zu geben, in dem in den letzten 18 Monaten mehr Lobbyarbeit betrieben wurde als in der Telekommunikation, kritisiert Michel Reimon (Die Grünen – Die Grüne Alternative), österreichischer EU-Abgeordneter der Grünen-Fraktion und Schattenberichterstatter des Gesetzentwurfs zum Thema Netzneutralität und Roaming.

Zum Beitrag erreichte EURACTIV folgendes Statement der Deutschen Telekom:

"Die in dem Papier formulierten Forderungen zur Reform des EU-Telekommunikationsrechts gehen nicht weit genug: Wir brauchen deutlich weniger Regulierung, um mehr Investitionen in Breitbandnetze zu ermöglichen. Dass verstärkt von der ex-ante auf die ex-post-Kontrolle übergegangen werden soll, ist keine neue Forderung, dafür spricht sich beispielsweise auch die Monopolkommission seit langem aus. Die Forderung nach einer Beschränkung der Regulierung auf das notwendige Maß und nach Abbau unnötig bürokratischer Verfahren hatte die Bundesregierung unseres Wissens bereits im Herbst vergangenen Jahres im Rahmen ihrer Stellungnahme zur DSM Strategie der EU Kommission beschlossen. Dem trägt das vorgelegte Papier leider nicht Rechnung. Es ist ein Rückschritt.  So soll weiter an den aufwändigen Marktanalyseprozessen und dem sogenannten Drei-Kriterien-Test festgehalten werden. Der nationalen Regulierungsbehörde noch größere Entscheidungsspielräume zu gewähren bietet keine Rechtsicherheit vor Regulierungseingriffen in neue Netzinvestitionen. Im Gegenteil.  Notwendig wäre stattdessen ein klarer Verzicht auf Regulierung dort, wo bereits infrastrukturbasierter Wettbewerb vorhanden ist. Auf die Regulierung von Preisen sollte gänzlich verzichtet werden. Nachträglich Aufsichtsbefugnisse sollten auf die Ahndung möglichen missbräuchlichen Verhaltens gerichtet sein. Dass so genannte OTT-Anbieter bei gleichartigen Angeboten genauso behandelt werden sollen wie Telekommunikationsanbieter, begrüßen wir allerdings ausdrücklich."

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