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Votum gegen Swift-Abkommen EU-Abgeordnete sabotieren Abwiegelstrategie der Kanzlerin

Das Europaparlament rebelliert in der NSA-Affäre gegen die US-Regierung und die Verharmloser aus Deutschland. Die Abgeordneten wollen das Abkommen zum Austausch von Bankdaten mit den USA stoppen. Damit setzen sie die EU-Regierungschefs unter Druck.
EU-Abgeordnete: Mehrheit für ein Aussetzen des Swift-Abkommens

EU-Abgeordnete: Mehrheit für ein Aussetzen des Swift-Abkommens

Foto: FREDERICK FLORIN/ AFP

Straßburg - Der Abstimmungsmarathon im EU-Parlament dauert schon zweieinhalb Stunden, da kommt der Moment der Rebellion: "Die Abstimmung über die Resolution ist eröffnet", ruft die Sitzungsleiterin Isabelle Durant um 14.37 Uhr ins Plenum. Und 15 Sekunden später erklärt sie lächelnd: "angenommen." Mit 280 zu 254 Stimmen. Links und in der Mitte des Plenarsaals schreien Sozialdemokraten, Grüne, Linke und Liberale ihre Freude heraus, rechts senkt ein konservativer spanischer Abgeordneter frustriert den Daumen nach unten.

Sie haben den Aufstand gewagt. Gerade haben sich die EU-Volksvertreter mit der US-Regierung anlegt. So offen, wie es noch keine politische Institution in Europa gewagt hat, seit dem Beginn des NSA-Skandals. Während die Verantwortlichen in Brüssel, Berlin oder London seit Monaten abwiegeln und aussitzen, mucken die Abgeordneten in Straßburg auf. Und setzen damit Kommissare und Regierungschefs unter Druck nachzuziehen.

Die Parlamentarier verlangen von der EU, das Swift-Abkommen auszusetzen. Die EU soll den legalen Transfer von Bankdaten an die USA zur Terrorbekämpfung stoppen. Der Datentransfer soll so lange ausgesetzt bleiben, bis das Weiße Haus Berichte über den Missbrauch der Daten widerlegt hat oder solche illegalen Aktivitäten aufgibt. Der SPIEGEL hatte aufgedeckt, dass der US-Geheimdienst NSA in großem Stil jenseits des Abkommens die Bankdaten europäischer Bürger ausspäht.

Ein Zeichen gegen die NSA-Aktivitäten

"Wir brauchen die USA in vielen Bereichen als Partner, aber wir dürfen uns nicht alles gefallen lassen", sagt Birgit Sippel, Innenexpertin der SPD im Europaparlament, SPIEGEL ONLINE. "Wir haben jetzt ein Zeichen gesetzt."

Mehr als ein Symbol ist die Resolution noch nicht: Die EU wird die Datenübermittlung erst stoppen, wenn mindestens zwei Drittel ihrer Mitgliedstaaten zustimmen. Aber die Spitzenpolitiker in Brüssel und Europas Hauptstädten müssen sich nun ernsthaft mit den Berichten über die Aktivitäten von US-Geheimdiensten auseinandersetzen. "Dieses Votum können die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten nicht ignorieren", sagt Jan Philipp Albrecht, der Wortführer der Grünen. "Schon auf dem EU-Gipfel am Wochenende müssen die Staats- und Regierungschefs Haltung dazu beziehen, was das Parlament heute beschlossen hat."

Jetzt muss die EU-Kommission handeln

Formal ist zunächst Innenkommissarin Cecilia Malmström an der Reihe. Die Schwedin muss baldmöglichst den Auftrag des Parlaments umsetzen und den Mitgliedstaaten einen Entwurf zur Suspendierung des Swift-Abkommens vorlegen. Malmström muss den EU-Mitgliedern erklären, warum sie diese Forderung für richtig hält.

Malmström, selbst eine Liberale, hat in der NSA-Affäre lange geschwiegen. Nun sagt die EU-Kommissarin, es gäbe keinen Hinweis darauf, dass die USA gegen das Abkommen verstoßen hätten. Die Kommission warte aber noch auf zusätzliche schriftliche Zusicherungen aus Washington.

Aber der Bericht über die massenhafte illegale Ausspähung der Bankdaten hat auch sie wütend gemacht. Die Amerikaner "sollen uns sofort und präzise sagen, was passiert ist und alle Karten auf den Tisch legen", hat Malmström bereits vor Wochen gefordert. "Wenn es wahr ist, dass sie die Informationen mit anderen Behörden teilen, für andere Zwecke, als das Abkommen vorsieht, (…) müssen wir darüber nachdenken, das Abkommen zu beenden."

Viele Mitgliedstaaten wollen diesen Affront gegenüber Washington vermeiden - allen voran Großbritannien, aber auch Deutschland. Wie Parlaments-Insider SPIEGEL ONLINE verrieten, soll Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) in den vergangenen Tagen massiven Druck auf die deutschen Unions-Europaabgeordneten ausgeübt haben, gegen die Aussetzung zu votierten.

CSU: "USA nicht vorverurteilen"

Tatsächlich votierten die CDU- und CSU-Parlamentarier fast geschlossen in Friedrichs Sinne. Der Konservativen-Fraktionsvize Manfred Weber (CSU) sagte SPIEGEL ONLINE: "Das EU-Parlament hat heute auf reiner Spekulationsgrundlage entschieden." Man dürfe die USA "nicht vorverurteilen".

Allerdings häufen sich die Berichte über die US-Ausspähmaßnahmen so bedenklich, dass einige europäische Regierungen nun nicht mehr alles schlucken - allen voran die französische. Präsident François Hollande verurteilt die jüngst bekannt gewordenen Abhöraktionen der NSA in Frankreich als "vollkommen inakzeptabel", Premierminister Jean-Marc Ayrault zeigt sich "zutiefst schockiert". Laut der Zeitung "Le Monde" hatte der Geheimdienst mindestens 70 Millionen Telefondaten französischer Bürger aufgezeichnet. Hollande will die NSA-Aktivitäten auf dem EU-Gipfel am kommenden Freitag und Samstag thematisieren. Dann könnte auch die Frage der Aussetzung von Swift aufkommen. Allerdings gilt es als unwahrscheinlich, dass eine Zweidrittelmehrheit für den Stopp der Datentransfers zustande kommt.

Für einige EU-Parlamentarier steht Swift schon nächste Woche wieder ganz oben auf der Tagesordnung. Dann werden die Mitglieder des Innenausschusses zu einer seit langem geplanten Reise nach Washington aufbrechen. Hier werden sie eine Reihe von US-Sicherheitsbehörden besuchen. Sie wollen Aufklärung über die NSA-Aktivitäten erhalten. Dass die Amerikaner ihnen nun die Gespräche verweigern, erwarten sie nicht. Im Gegenteil: Als sie Anfang 2010 einen Entwurf für Swift ablehnten, wurden sie bei ihrem nächsten Besuch in Washington wie Staatsgäste hofiert. "Da haben die uns erst ernst genommen", erinnert sich ein Teilnehmer, "nachdem wir das erste Mal nein gesagt haben."