Wirtschaft

Hiobsbotschaft für FTX Krypto-Szene fürchtet Lehman-Beben

Im September 2008 ging Lehman Brothers unter.

Im September 2008 ging Lehman Brothers unter.

(Foto: REUTERS)

Die taumelnde Kryptobörse FTX findet keinen Retter, während der Chef von seinem Erzrivalen gedemütigt wird. Marktstrategen fürchten bei einem Zusammenbruch der Börse massive Verluste für den Sektor.

Was derzeit im Krypto-Universum passiert, ist selbst für die dort geltenden Standards ungewöhnlich: Ein Krytpo-König verliert innerhalb eines Tages sein Milliarden-Vermögen, der weltweit drittgrößten Krypto-Börse FTX droht der Zusammenbruch, digitale Währungen rauschen in den Keller, und niemand weiß, welche Schockwellen all das noch durch die Kryptowelt jagen wird.

Wer nicht in Kryptos investiert ist, greift zum Popcorn und betrachtet fasziniert das Spektakel. Zumal das bittere Ende einer Männerfreundschaft dem Ganzen zusätzliche Würze verleiht. Allerdings stellt sich die Krypto-Szene die Frage: Was, wenn der Kollaps von FTX der Lehman-Moment des Krypto-Universums wird?

Die Implosion der Investmentbank Lehman Brothers hätte zur Kernschmelze des Finanzsystems führen können. Das wurde verhindert - doch löste der Kollaps eine weltweite Finanzkrise aus, von deren Folgen sich die Weltwirtschaft erst nach einigen Jahren halbwegs erholen konnte.

Derzeit sieht es nicht danach aus, als würde der Überlebenskampf von FTX einen Flächenbrand auslösen, der auf das gesamte Finanzsystem übergreift. Doch die Gefahr ist angesichts der weltweiten Verbreitung von Kryptowährungen nicht gebannt. Entscheidend ist, in welchem Umfang Anleger Investments liquidieren müssen, um Nachschussforderungen zu decken - und ob das zu einem Abwärtsstrudel an den Finanzmärkten führen wird.

"Das ist schlimm"

Der Stand der Dinge: Mit FTX steckt die weltweit drittgrößte Handelsplattform für Kryptowährungen in ernsten Liquiditätsproblemen. In seiner Verzweiflung diente FTX-Chef Sam Bankman-Fried die Börse dem Marktführer Binance an. Dessen Chef Changpeng Zhao hatte am Wochenende Zweifel an der finanziellen Potenz von FTX geäußert und so zumindest maßgeblich dazu beigetragen, dass Kunden dort panisch ihre Einlagen abhoben und FTX die Auszahlungen stoppen musste. "Wir raten dringend von Einzahlungen ab", ist oben auf der Website zu lesen. "Das ist schlimm", twitterte Krypto-Investoren Katherine Wu. "Ich kann mir nicht im Ansatz vorstellen, welchen Schaden das [in unserer Branche] anrichten wird".

Zhao, in der Branche als "CZ" unterwegs, und Bankman-Fried ("SBF") waren einst freundschaftlich verbunden. Doch diese Zeiten sind vorbei. Das liegt wohl vor allem daran, dass SBF für sein Projekt eifrige Lobbyarbeit betrieb und sich auch für eine Regulierung des Krypto-Marktes offen zeigte. Bei Politikern und der traditionellen Finanzwelt kam das gut an - in weiten Teilen der Kryptoszene aber überhaupt nicht. Sie witterte Verrat.

Auch Zhao war sauer. Wie andere warf er seinem einstigen Buddy vor, nur seine eigenen Interessen im Blick zu haben. "Wir werden keine Leute unterstützen, die gegen andere Player der [Krypto-] Industrie hinter deren Rücken lobbyieren", twitterte "CZ".

Bankman-Fried dürfte das nicht besonders beeindruckt haben. Er schaffte es, als Sprachrohr der Krypto-Szene wahrgenommen zu werden. Im Mai reisten zu einer von ihm organisierten Konferenz auf den Bahamas unter anderem die amerikanische Football-Legende Tom Brady und der ehemalige US-Präsident Bill Clinton an.

SBF präsentierte sich als Saubermann der Branche, der nicht mit den Einlagen der Kunden zockte. Seine Börse galt als stabil, gut finanziert. Sie steckte das Scheitern des Stablecoins TerraUSD und des Krypto-Hedgefonds Three Arrows Capital gut weg, während der Markt für Digitalwährungen crashte. Derweil half SBF strauchelnden Krypto-Projekten, die angesichts rasant steigender Zinsen zu stürzen drohten.

FTX braucht dringend Milliarden

Und genau das ist wohl der Anfang vom Ende. Der Nachrichtenagentur Reuters zufolge hat er zur Finanzierung der Hilfen seinen Krypto-Hedgefonds Alameda eingesetzt und musste dabei einige erhebliche Verluste hinnehmen. Um den Fonds zu stützen, dessen Anlagevolumen fast 15 Milliarden Dollar erreichte, soll SBF vier Milliarden Dollar Anlagevermögen von der Kryptobörse FTX an Alameda transferiert haben - ein Teil davon Kundeneinlagen.

Dann veröffentlichte eine auf Kryptowährungen spezialisierte Nachrichtenseite eine geleakte Bilanz von Alameda, aus der hervorgeht, dass ein von FTX ausgegebener "Token" fast ein Viertel des Vermögens von insgesamt 14,6 Milliarden Dollar ausmacht, das in der Bilanz von Alameda aufgeführt ist. Ein Teil dieser FTX-eigenen Digitalwährung soll als Sicherheit für Kredite hinterlegt worden sein.

Bankman-Frieds Erzrivale Zhao kündigte an, dass Binance alle dieser Token aus den eigenen Beständen im Wert von 500 Millionen Dollar verkaufen werde. Der Kurs des Tokens brach daraufhin ein und zog FTX mit in die Tiefe. Laut einem Bericht des "Wall Street Journal" benötigt die Börse eine Nothilfe, um eine Lücke von bis zu acht Milliarden Dollar zu decken.

SBF diente seine Firma dem Erzrivalen CZ an. Doch nach einer Buchprüfung senkte Zhao den Daumen. Begründung: Medienberichte über Fehlverhalten im Umgang mit Kundengeldern und mögliche Ermittlungen von US-Behörden.

Nach dieser Demütigung versucht Bankman-Fried, zu retten, was zu retten ist. Er wäre "unglaublich, unglaublich dankbar", wenn Investoren helfen könnten, sagte er Anlegern in einer Telefonkonferenz, die Geld in FTX gesteckt haben. Doch das dürfte schwer werden. Auch die Kryptobörse OKX hatte wegen der hohen Risiken einer Übernahme von FTX bereits abgelehnt. "Es ist ein großes Loch, das es zu stopfen gilt", sagte Lennix Lai, Direktor für Finanzmärkte. Das Damokles-Schwert werde weiterhin über dem Kryptomarkt schweben, solange das Schicksal von FTX ungewiss sei.

SBF drückte es in der Telefonkonferenz drastischer aus: "I fucked up."

Quelle: ntv.de

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