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Propagandă

So hetzt 'RT Deutsch' seine Fans gegen einen Berliner Kritiker auf

Matthias G. bekommt Drohungen, seit der pro-russische Sender seinen Namen, die Arbeitsadresse und Fotos veröffentlicht hat.
Screenshot aus dem YouTube-Video "Wie ein "NATO-Troll" unsere Live-Übertragung des Anti-AfD-Protests in Berlin bereicherte" von RT Deutsch

Männer, die sich in die Kamera drängeln und "Lügenpresse!" bellen, Beleidigungen, immer wieder offener Hass: Jeder Reporter, der zu den Hochzeiten auf Pegida-Demos unterwegs war, hat das erlebt.

In Dresden gab es damals eigentlich nur eine einzige Kamera-Crew, die nie angepöbelt wurde und immer Interviews bekam: die von RT Deutsch, dem deutschen Ableger des russischen Staatssenders Russia Today. Der Sender, der sich selbst als "alternative Informationsquelle abseits des Mainstreams" vermarktet, kam bei Pegida-Fans von Anfang an gut an.

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Vielleicht ist das der Grund, warum RT Deutsch so empfindlich reagiert, wenn es selbst zur Zielscheibe wütender Demonstranten wird. Passiert ist das am Rande eines Protestes vor der Bundestagswahlparty der AfD in Berlin. Vor die Kamera des RT Deutsch-Livestreams sprang plötzlich ein junger Mann und rief: "Fuck Russia Today! Fuck Putin!" Dann ratterte der Mann auf Englisch seine Vorwürfe gegen den Sender und Russland herunter – Russland unterstütze rechtsnationale Bewegungen in ganz Europa, es untergrabe die Demokratie, RT Deutsch sei Propaganda – und hisste dann mit einem anderen Demonstranten eine Nato-Flagge. Der ganze Vorfall dauerte nicht mal drei Minuten.

RT Deutsch veröffentlichte den Ausschnitt gleich am nächsten Tag auf seinem YouTube-Kanal unter dem Titel "Wie ein 'NATO-Troll' unsere Live-Übertragung des Anti-AfD-Protests in Berlin bereicherte". Darunter sammelten sich Kommentare der RT-Fans, die den Störer als "geistig behindert", "Linksfaschist" und "Gay" beschimpften. Viele waren sich sicher: "Er ist auf jeden Fall bezahlt!!", manche wissen auch von wem: "Hat wohl 'nen besonders fetten Scheck von seinem Soros NGO Gauleiter bekommen" – Rechte in ganz Europa halten den US-Investor George Soros für einen bösartigen Strippenzieher hinter so ziemlich allem, was ihnen nicht passt.


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Damit hätte die Sache eigentlich erledigt sein können. Zwei Wochen später gab der Demonstrant dann der Welt ein Interview, in dem er seine Positionen noch einmal erklärte. Die Welt nannte ihn im Text nur "Matthias G." und begründete das damit, dass der Demonstrant "Nachstellungen befürchtet".

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Irgendwas an diesem Interview scheint RT Deutsch so gereizt zu haben, dass sie sich zu einem Gegenschlag entschieden. Nicht gegen die Welt oder die Argumente ihres Kritikers, sondern gegen ihn persönlich. RT fand heraus, dass Matthias' Nachname versehentlich im Dateinamen des Artikel-Bilds untergebracht war – und nahm das als Einladung, einen ganzen Artikel über ihn zu veröffentlichen.

In dem als "Satire" gekennzeichneten Artikel namens "Frustrierter NATO-Troll im Springer-Interview" macht sich RT-Chefredakteur Florian Warweg höchstpersönlich über Matthias G. lustig. Er bescheinigt ihm, die Nazis hätten Freude an seiner "arischen" Erscheinung gehabt, und gibt ihm ironische Hinweise, wie er sein Ziel als Nato-Troll in Zukunft besser erreichen könne.

Wirklich eigenartig wird es aber, als der "satirische" Artikel dann dazu übergeht, Matthias G.s vollständigen Namen, seinen Lebenslauf seit dem Studium, einen Link zu seinem LinkedIn-Profil und die Adresse seines Arbeitsplatzes zu veröffentlichen – inklusive Foto des Gebäudes und Link zu Google Maps.

Was der satirische Mehrwert dieser Details sein soll, wird nicht klar. Stattdessen bekommt man das Gefühl, dass der Sender seinem Kritiker auf diese Art und Weise eine Botschaft schicken will. Unter dem RT-Facebook-Post und dem YouTube-Video hatten RT-Leser Matthias G. bereits ausgiebig als "Scheiß Nato-Päderasten" oder "strunzdummen Faschisten" beschimpft – und mehr als einer der Leser hat den Wunsch geäußert, ihm "eine mitzugeben" oder "die Nase zu brechen". Diese Leute hatten nun einen Namen, ein Foto und eine Adresse, an der sie Matthias G. finden konnten.

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"Als ich das im ersten Moment gesehen habe, musste ich schon schlucken", sagt Matthias G. zu VICE. "Es ist unheimlich, wenn Privatinformationen über dich in diesem Kontext veröffentlicht werden." Matthias ist sich sicher, dass RT damit einen Hintergedanken verfolgt. "Das ist ein Einschüchterungsversuch, eine typische Mafia-Methode. Natürlich rufen die zu nichts auf, aber das wird schon verstanden."

Kurz nach der Veröffentlichung trudelten bereits die ersten E-Mails bei seinem vermeintlichen Arbeitgeber ein – und in seinem privaten Facebook-Postfach. "Du bist also dieser primitive und hasserfüllte NATO-Troll?", schreibt ihm einer. "Vom Gesicht her könntest du allemal ein Nazi sein."

Offene Drohungen hat Matthias noch keine erhalten, für ihn sind die meisten Schreiber nur "irgendwelche Internet-Großmäuler". Was ihn aber ärgert: Wenn man seinen Namen googelt, erscheint der Artikel, der ihn als "bezahlten Nato-Troll und halben Nazi" diffamiert, relativ weit oben. Matthias bekräftigt, er sei von niemandem für den Protest bezahlt oder angestiftet worden. "Das Absurde daran ist ja, dass Florian Warweg der 'bezahlte Systemtroll' ist. Ich kriege kein Geld dafür, der RT-Chefredakteur schon."

Auf die Anfrage von VICE, warum RT Deutsch einen einzelnen Kritiker derart öffentlich bloßstellt, antwortet Florian Warweg per E-Mail. Er rechtfertigt den Artikel damit, dass er überzeugt sei, "dass Herr G. alle möglichen kommunikativen Konsequenzen professionell eingeplant hat". Außerdem nehme sein Satire-Artikel "nicht einen 'einzelnen Kritiker' in den Fokus, sondern arbeitet satirisch dessen Interviewaussagen im Springer-Interview auf". Drohungen habe G. sowieso schon vorher bekommen. Auf die Nachfrage, was RT damit bezweckt, den Klarnamen, die Arbeitsadresse und ein Foto des Büros zu veröffentlichen, gibt Warweg keine Antwort.

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Tatsächlich ist der Sinn der RT-Aktion schwer zu verstehen. Medienunternehmen werden in Deutschland permanent von unzufriedenen oder wütenden Bürgern angegangen, ohne dass sie sich danach die Mühe machen, jeden einzelnen auszukundschaften und dessen Daten dann vor ihren Lesern auszubreiten. RT Deutsch präsentiert sich zwar gerne als der Underdog der deutschen Medien, hat mit über 320.000 Facebook-Fans aber eine beachtliche Reichweite. Die jetzt gegen einen einzelnen Menschen in Stellung zu bringen, der ihnen einmal vor eine Kamera gesprungen ist, wirkt bizarr.

"Das ist ja eigentlich eine totale Überreaktion", findet auch G. Er glaubt, dass dahinter noch eine andere Motivation stecke: "Ich glaube, es geht darum zu zeigen: Jede Kritik muss von einem bezahlten Troll sein. Es kann in deren Weltbild gar nicht sein, dass jemand Putins Regime kritisiert, ohne dafür bezahlt zu werden."

Matthias G. will sich von der Methode jedoch nicht einschüchtern lassen. "Für mich und meine Freunde ist wichtig, mit der Kritik an Putins Politik weiterzumachen und da auch keine Angst vor Repressalien zu haben", sagt er. "2018 ist die WM in Russland, und ich hoffe, dass sich noch viel mehr Leute mit dem Thema beschäftigen, wie russische Politik im Moment in der Welt funktioniert."

Die Episode um den zum "Nato-Troll" aufgebauschten und dann öffentlich an den Pranger gestellten Demonstranten gibt zumindest einen Eindruck, wie die Methode RT Deutsch funktioniert.

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